Geschriebene Chronik 1913

GESCHRIEBENE CHRONIK 1913

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Chronik 1913

Zum 2. Male tritt der neue Chronist vor Ihr Forum, um über das verflossene Jahr 1913 zu berichten und zu erzählen von Witterung und Fruchtbarkeit, von Naturereignissen und Unglücksfällen, vom Werden und Vergehen, von Natur und Ernte, vom polit. Leben, von Handel und Gewerbe, vom Werken und öffentl. Leben.

Folgen wir den Aufzeichnungen des Chronisten und lassen wir das Jahr 1913 nochmals im Geiste an uns vorüberziehen und wir werden sehen, dass es nicht zu den besseren gezählt werden kann, was der Aberglaube der Zahl 13 zuschreiben wird.

Landwirtschaft

Es ist unter der Rubrik Witterung und Fruchtbarkeit schon auf die sehr starken Spätfröste vom 11./17. April hingewiesen worden.

Die Befürchtungen eines Ernteausfalles an Obst und Wein haben sich leider nur zu wahr bestätigt. In weiten Gegenden ist die Obsternte sehr mager ausgefallen an Äpfeln und Birnen. Eine Ausnahme machte ein kleiner Strich in unserer Gegend, von Langmoos bis nach Buchen, wo es noch schöne Erträge gab, wahrscheinlich hervorgerufen durch die Warmregulierung des Sees.

Eine Begleiterscheinung dieser minimen Erträge war der sehr hohe Obstpreis, galten doch Lageräpfel bis Fr. 40 p. 100 kg und Mostobst bis Fr. 22 (Weinbirnen) und noch mehr.

Diese hohen Preise nötigten manch arme Familie auf den Kauf von Äpfeln und Mostobst zu verzichten und den tägl. Bedarf in kleineren Quantitäten zu decken zu noch höheren Preisen oder ganz darauf Verzicht zu leisten.

Von einer Weinernte kann in diesem Jahr nicht gesprochen werden, gab es doch in der ganzen Gemeinde Thal nicht zwanzig Eimer od. 800 Liter Wein und der war noch sauer, der in der Heimat rann und keine Lagrimae Christi. Ähnliche Verhältnisse fand man aller Orts, so auch in der Gemeinde Wartau, wo kein Tropfen gekeltert werden konnte.

Die Ursachen dieser Missernte! Sie sind: 1. Die Spätfröste im April; 2. Schlechte Blütezeit bei mässigem Traubenansatz; 3. Nasskalte Witterung in der II. Hälfte Juli und daherigem Auftreten des falschen und echten Mehltaus, trotz 2, 3, 4, 5 Mal Bespritzung. Die meisten Rebbauern ernteten nicht einmal Trauben zum Essen für sich, geschweige zur Weiterbereitung.

Ist es daher zu verwundern, wenn von Jahr zu Jahr immer mehr Reben ausgerodet werden?

Wenn es, was wir nicht hoffen, noch mehrere solche schlechte Weinjahre geben sollte, dann wird man später den „Buechberger“ nur noch dem Namen nach kennen.

Sind ja heute schon im früher geschlossenen Buchberg. Rebflächen in Wies und Ackerland verwandelt und auf Halten und in der Flöhn stehen nur noch wenig Stücke mit Reben bepflanzt, wo früher ein geschlossener Rebberg war.

Wegen immerwährendem Auftreten der Maul- und Klauenseuch in unserem Vaterlande, benutzten unsere Nachbarstaaten die Gelegenheit die Grenzen gegen Vieheinfuhr zu sperren.

Durch diese Massnahmen, durch allg. wirtschaftl. Depression, durch starke Aufzucht von Tieren trat eine Überproduktion von Milchtieren ein, was wieder einer Überproduktion Vieh und ein Sinken der Milchpreise zur Folge hatte.

Der Abschlag beträgt pro 1. April 1913-1. April 1914 2 Rp. p. Liter durchwegs.

Dieser Abschlag bedeutet für die Schweiz. Landwirtschaft einen Verlust von Millionen von Fr. und ist schwer zu tragen angesichts des in die Höhe steigenden Hypothekarzinsfusses, was auch Handel und Verkehr und vor allem das Gewerbe beeinflusst. Andernseits kommt der Milchabschlag vielen geplagten Familien zugute.

Die Maul- und Klauenseuche ist in unserer Gemeinde an 3 Orten ausgebrochen. An allen 3 Orten wurden die Tiere abgeschlachtet um eine weitere Ansteckung zu verhindern.

Die Heuernte vollzog sich in unserer Gegend unter günstiger Witterung frühzeitig, wie auch der Emdet.

Es wurde viel und vorzügliches Futter eingeheimst.

Die höheren Lagen haben unter der Ungunst der Witterung viel gelitten und schlechtes Heu gemacht.

Politisches und öffentl. Leben

Das politische und öffentl. Leben hat in unserer Gemeinde keine grossen Wellen geworfen.

Es hat nur 1 Gemeindeurnenwahl stattgefunden, neben den jährlichen Rechnungsgemeinden.

Für den Rest der laufenden Amtsdauer wurde für den im Januar+ Gemeinderat Heinrich Dudler, Konrad Dudler in Altenrhein als Gemeinderat gewählt.

An der polit. Rechnungsgemeinde, wurden die gemeindrätl. Anträge: Es sei am Hydrantenhaus in Staad ein Steigerturm zu erstellen und zwei Arrestlokale einzubauen, diskussionslos angenommen, dadurch wird einem längst gefühlten Bedürfnisse abgegolten.

Das bischöfl. Ordinariat und das kath. Kollegium haben die Lostrennung von Altenrhein von der Mutterkirche Rorschach genehmigt.

Durch diesen Beschluss ist Altenrhein zu einer eigenen Kirchgemeinde erhoben worden, nachdem Altenrhein die Selbständigkeit angestrebt hat.

Rorschach zahlt eine Abkurungssumme von Fr. 5000.

Am 11. Dezember wählt der Gemeinderat als Gemeindeschreiber für den + Herrn J. Keller, Herr Heinrich Heller, Gerichtsschreiber von Thal aus 62 Bewerbern.

In der Brauerei in Staad fand am 21. Januar eine von zirka 120 Mann besuchte Versammlung statt zur Besprechung der Friedhoffrage in Buchen. Allgemein war die Ansicht, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, doch nicht zu übereilen. Es wird eine ständige neungliedrige Kommission hiefür gewählt mit Herrn Dr. Krähenmann als Vorsitzender.

Die evangel. Kirchgemeinde Thal-Lutzenberg beschliesst am 12. März es seien die unteren Abteilungen im Friedhof zu erhöhen.

Ebenfalls am 12. März beschliessen die Ortsbürger den Neubau eines Stalles und den Ausbau der Scheune in der Armenanstalt. Kostenvoranschlag Fr. 12‘000.

Für den weggezogen Al. Kopp wählt am 24. März der evangel. Schulrat Herrn Georg Frick aus Frienbünden an die Oberschule in Buchen.

Verkehr, Handel – Gewerbe

Der Segelschiffhafen in Staad hatte 1913 folgenden Verkehr:

Ausfuhr von Steinen, Sand und Kies kg 7 195 000 in 88 Schiffsladungen.

Einfuhr von Holz, Sand und Kies kg 1 917 376 in 39 Ladungen.

Im Hafen übernachtete und schutzsuchende Schiffe 490.

Total der verkehrenden Motorsegelschiffe 617.

Wohl infolge des immer noch wütenden Krieges in den Balkanstaaten, daherigem zurückziehen der Gelder und der Bankguthaben infolge polit. Unsicherheit ist der Zinsfuss für das sehr rare Geld wieder gestiegen und beträgt derselbe bei den Banken 5% mit 1/8 bis 1/4 % pro drei Monat.

Handel und Industrie und nicht zuletzt das Gewerbe leiden sehr unter diesen ungesunden Zuständen.

Ein Rückschlag auf allen wirtschaftl. Gebieten ist eingetreten und die Aussichten sind düster.

Viel Arbeitslosigkeit ist die Folge und viele, viele Familienväter, Frauen und Kinder leiden an Mangel und Entbehrung. Hier Gutes zu tun bleibt der christl. Liebestätigkeit vorbehalten.

Bei uns ist es namentlich die Stickereiindustrie die schwer darnieder liegt, wie auch das Baugewerbe.

Etwas besser gestellt ist die Metallindustrie, aber auch hier überflüssige Arbeitskräfte.

Möge es auf dem allg. wirtschaftl. Gebiete bald besser werden, damit Handel und Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft nun aufblühen und gedeihen.

Tätigkeit des Einwohner- und anderer Vereine

Der Einwohnerverein hielt 4 Versammlungen ab. Auf dessen Initiative wurden 2 öffentl. Versammlungen abgehalten.

Am 12. Dezember hielt Herr Lehrer Heinrich Eggenberger einen sehr gut besuchten Vortrag im Schiff in Staad über „Rhein-Bodenseeschifffahrt.“

Der Referent verstand es vorzüglich über das aktuelle Thema zu sprechen und erntete den verdienten Dank der aufmerksamen Zuhörer.

Die 2. Versammlung hatte die „Friedhofangelegenheit“ befasst und ist hierüber an anderer Stelle berichtet.

Der freiwill. Armenverein findet allzeit offene Hände zur Unterstützung von armen Gemeindeeinwohnern.

Die diesjährige Kollekte ist trotz der Ungunst der Zeitverhältnisse sehr gut ausgefallen.

Der Sängerbund trat an der Fasnacht vor die Bretter, führte einen Ausflug nach dem Zürichsee aus, nahm an der Fahnenweihe der Freischützen Staad teil und besuchte am 9. November das Sänger Rendez-vous in Wolfhalden und hielt eine patriotische Augustfeier ab.

Der Freischützenverein Staad hielt am 27. Juni die Weihe der prächtigen Vereinsfahne.

Als Patensektion amtete die Feldschützengesellschaft Thal, deren Sprecher Haupt. Fritz Tobler in gehaltvoller Rede die Fahne übergab.

Namens der Freischützen nahm die Fahne Lehrer Walt in Thal entgegen und widmete warme Worte an die zahlreiche Festgemeinde auf dem Grüebli.

Am 10. August kehrte der Freischützenverein lorbeergekrönt vom Sek. Wallschiessen am Stoss empfangen von den hies. Vereinen.

Einzelloorbeerkränze schossen heraus: Walther Küderli, Zwirnerei und Stefan Keel, Wartensee.

Die Turnvereine Staad und Thal veranstalteten Familienabende mit turnerischen Produktionen.

Unglücksfälle und Verbrechen

Am 4. Juni ist Tobler, Bleichereiarbeiter, wohnhaft im Adler in Staad bei plötzlichem Ausbruch eines Sturmes beim Baden in der Nähe des Hafens ertrunken.

Ehe Hilfe zu Stelle war, versank Tobler infolge Ermattung in die Tiefe. Die Leiche konnte geborgen werden.

Am 12. Juli fiel der Knabe Kessler in einem epileptischen Anfall beim Hafen in den See und ertrank.

Jakob Hartmann alias Berners Joggli fiel am 19. August so unglücklich auf einer Stiege auf Blatten, dass er in das Armenkrankenhaus verbracht noch in der gleichen Nacht starb.

In der Nacht vom 21. August ist die Buchsteigmühle total abgebrannt. Es wird Brandstiftung vermutet.

Ein wahrer Unglücksmonat scheint der Oktober zu sein. In der Nacht vom 11./12. Oktober wurde vom Rheintaler Zuge beim Anker in Staad ein unbekannter Lebensmüder überfahren und furchtbar zugerichtet, dass die Überreste zusammengelesen werden mussten.

Unglück vom 12. bis 19. Oktober

Bei Bellinzona Sturz eines Zuges in den Fluss 2 Tote.

Schaden der B.B. 600 000 Franken.

Auf dem brennenden Dampfer Volturno kommen 170 Personen ums Leben.

Schreckliche Grubenkatastrophe in Cardiff England, wobei 400 Bergmänner das Leben verloren.

Endlich Explosion des Marineluftschiffes Zepp. II in einer Höhe von 500 Meter. Sämtliche 20 Militärinsassen fanden einen schrecklichen Tod. Am 10. wurde ein Einbruchsversuch ins Postlokal in Staad gemacht. Doch ohne Erfolg.

Für unsere Gemeinde ist auch der November ein Unglücksmonat.

Am 11. November hat sich beim Bahnhof Staad der bekannte Fischer Heier Vater erschossen. Was den Unglücklichen zu der schrecklichen Tat bewog mag ein Höherer wissen.

In der Nacht vom 26. auf 27. verunglückte mitten im Dorfe Thal Gemeinderatsschreiber J. Keller.

Von einer Kommissionssitzung zurückkehrend, muss er bei der Dunkelheit ausgeglitten sein, sodass er den Kopf auf der Strassenschale aufschlug, was eine schwere Schädelfraktur zur Folge hatte, an der er ohne zum Bewusstsein zu kommen starb. Da Niemand zugegen war, konnte keine Hülfe gebracht werden und Keller wurde erst morgens 6 Uhr von einem zur Arbeit gehenden Mann aufgefunden.

Am gleichen Tag ist mittags das Doppelwohnhaus des J. Bapt. Dudler, Weibelsmassa und Johann Tobler in Altenrhein niedergebrannt.

Zum Glück war es windstill, sonst hätte das gefrässige Element weitere Gebäudlichkeiten ergriffen.

Totentafel

Von bekannten Persönlichkeiten haben 1913 das Zeitliche gesegnet:

Dudler Heinrich, Gemeinderat zum Jägerhaus, der verschied. öffentl. Ämtern seine Dienste widmete.

Am 13. Januar endete seine Laufbahn nach längerem Leiden.

In J. Keller Gemeinderatsschreiber hat am 26. November der Tod einen Mann mitten aus der Arbeit dahingerafft, der mit der öffentl. und privaten Tätigkeit der Gemeinde eng verbunden war.

In mehr als 20jähriger Stellung hat er eine Unmasse Arbeit bewältigt, sei es für die Gemeinde od. gemeinnützige und private Institutionen.

Zu früh ist er der Gemeinde und der Familie, der er ein besorgter Vater war, entrissen worden.

Fast zu gleicher Zeit am 12. Dezember sind zur ewigen Ruhe eingegangen

Paul Sonderegger, Lehrer von evang. Buchen und

Arnold Heinz, Coiffeur in Staad.

Mit Lehrer Sonderegger ist eine patriarchalische Persönlichkeit, nach altem Schlage von uns geschieden.

Alle die ihn kannten mussten ihn liebgewinnen durch seine Geradheit und Aufrichtigkeit.

In seiner 50jährigen Wirksamkeit als Lehrer und Erzieher hat er doch guten Samen in die Kinderherzen gestreut, konnte aber auch die Früchte seiner erzieherischen Bemühungen reifen sehen.

Als Familienvater war er ein Muster.

In Arnold Heinz Coiffeur ist ein Mann zu Grabe getragen worden, der viele Leute bei der Nase genommen, ohne weh zu tun. Seine Liebe zur Musik, seiner lieben Handorgel war sprichwörtlich und viele, viele hat er mit seinen Vorträgen erfreut, sei es beim Tanzen, oder in fröhlicher Gesellschaft und in Vereinen. Auch er war ein treubesorgter, friedensliebender Familienvater.

In Jakob Lutz älter, Buchsteig Thal ist eine markante Persönlichkeit abgeschieden, ein Bauer nach altem Type, der aber bis ins hohe Alter seine Kräfte seinem Berufe weihte.

Allen diesen lieben Verstorbenen werden wir ein treues Andenken bewahren. Sie haben ihr Pfund verwaltet, das ihnen gegeben war.

Verschiedenes

Am 17. November hat Herr Gmdrt. Ad. Öhler beim Hafen in Staad einen seltenen Vogel, einen prächtigen Polartaucher geschossen.

Derselbe wird an der im Jahre 1914 in Bern stattfindenden Landesausstellung ausgestellt werden.

Am 14. Februar führte Aviatiker Gsell von St. Gallen mit seinem Aeroplane Kunstflüge aus, wobei er fünf bis sechs Mal über Staad hinflog.

Des öfteren konnte man noch andere Flieger sehen.

Ende Mai besuchte der entthronte König Manuel von Portugal seine Braut, eine Hohenzollersche Prinzessin in der Weinburg.

Ehrentafel

Nachstehend schöne Vergabungen sind gemacht worden.

Von Herrn Jak. Lutz älter Buchsteig

an das evangl. Schulamt                                                                     Fr.     3200

an den evangl. Krankenschwesternfonds                                        Fr.     1000

von demselben an den evang. Krankenverein Thal-Lutzenberg Fr.    400

an den freiwill. Armenverein                                                               Fr.     400

Von Herrn Rudolf Messmer sel. Walzenhausen

an das evangel. Armenamt (Fonds)                                                   Fr.     100

an den Waisenhausfonds                                                                    Fr.     100

Von Herrn Samuel Herzog sel. Feldmoos

an den Krankenwagenfonds Thal-Rheineck                                    Fr.     50

Nun ist der Rundgang durch das Jahr 1913 gemacht. Es hat dasselbe viel Freud und Leid, viel Kummer und Trübsal, viel Unglück aber auch Glück gebracht.

Mit wehmütigen Gefühlen und mit der Frage wie wird es werden schauen wir auf das Jahr 1914 und geloben uns komme was das kommen mag, wir halten treu zusammen, treu in der Liebe der Menschen untereinander, treu in der Liebe zum Nächsten, treu in der Liebe zu Gemeinde, Kanton und unseres schönen Vaterlandes.

Möge es in Frieden und Eintracht blühen und gedeihen. Durch weise soziale Fürsorge für Arme und Bedrängte. Möge es in Frieden wirtschaftlich noch mehr aufsteigen, um auch ferner hin an der Spitze der Nationen stehen können. Der Allmächtige schütze und bewahre unsere liebe Gemeinde, unser liebes Vaterland, das schöne freie Schweizerland.

Der Chronist

J.Dornbierer

(Transkribiert von Felix Rüst Im Februar 2024)

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